Mittwoch, 11. Mai 2011

Huxley contra Samsa- weck mich auf!

Ich habe diese Analystin kennengelernt. Ein hochproduktives Ding. Die scannt einen Text und schon hat sie das wichtige rausgefiltert. Sie manövriert sich durch ihren Mac, von einer Page zur anderen, drünkt und macht und drückt. Und ich gucke und schlucke und gucke. Ich habe ihr auch heimlich am Arm rumgerückt. Ich wollte überprüfen, ob sie nicht eine heimliche Stepford Wife ist: das heisst, ob sie nicht insgeheim, eine im Labor (wahrscheinlich noch von der Bush Regierung) herangezüchtete Super-über-maschine. Entgegen meiner Erwartungen spürte ich jedoch nicht kalte Drähte, sondern warmes, weiches Fleisch.

Fuck, dachte ich geschockt. Ich bin ja nicht gerade blöd, habe ich mir jedenfalls sagen lassen. Doch, aufgrund meines slight ADHD (Diagnose meines besten elfjährigen Freundes im indischen Ashram: “Girl, you need some Ritalin!”), bin ich manchmal halt doch etwas langsam (“Äh, wie war das nochmal, ich habe Hunger, und was soll ich zu Mittag essen und warum zum Teufel trage ich mein Kleid falsch herum? Scheisse, meine Achselhaare muss ich auch wiedermal rasieren! ... Wo war ich nochmal? Fuck, ich hab die Tubestation verpasst!”)

Mir wurde wiedermal klar, was in unseren neokapitalistischen Welt wirklich wichtig ist: Schönheit, Geld und vorallem die scheiss Produktivität (my personal definition: Intelligenz gepaart mit Anti-Faulheit). Fast, and better extremely fast cognitive progressing - der beste Predictor für Job Attainment and Performance. Ich bekam Angst und mir wurde klar, dass unsere Scheiss Brave New World ein Zug ist, der vor sich hinrast. Im Cockpit dieses Zuges sitzen ebendiese Maschinen – die Elite der Finanzbranche und andere produktive Autisten. Scary! Erinnert mich an den russischen Film “Doktor Schiwago”. Der Bruder des Hauptdarstellers, ich glaube er symbolisiert Lenin, blocht, während dem ganzen Film in einem fensterlosen Zug quer durch Russland. Keiner weiss aber, wohin er eigentlich blocht und warum er eigentlich blocht, und ich glaube, er blocht auch noch am Ende des Filmes.

Auch eine meiner Freundinnen hier in London wurde gerade von ihrer Firma in einen Schnell-Kurs für drei Monate gebucht. “Schneller und produktiver soll die da werden”, genau so, wie die Analystin. Sie soll nämlich fortan die Arbeit von fünf machen. Tip, tip, tapp! Mein Ex-Mitbewohner arbeitete bei EAT, einer health-food Kette in London. Und auch da lernt man, wie man Kunden schnell, schnell bedient. Sonst wird mal nämlich ersetzt. Auch wir Studenten müssen schnell sein, und unsere Deadlines einhalten (meine Unikollegin ist schon so durchgedreht, dass sich ihr ganzes Gesicht häutet, die andere Schluckt (nein, ich bins wirklich nicht!) jeden zweiten Tag n Valium nach jeden dritten Heulanfall. Wir sollen nämlich lernen, unter Druck zu arbeiten und geile, noch potentere Medikamente herzustellen, die wir dann schlucken können, wenn wir mit 50 ein Herzproblem haben. So die Analystin gestern zu mir: “Gar nicht schlimm, dass du rauchst. Dämpft den Stress. Lieber mit 70 Lungenkrebs als mit 50 einen Herzinfarkt- belegen Studien”. Auch Zähneputzen und Essen sollen wir schnell. Kein scheiss Wunder, dass 80% der Menschen mechanisch masturbieren (5% ondullierend, 10% archaisch, 5% wellenförmig), Muss schnell gehen. Auch ficken soll schnell gehen, dadurch wohl auch der Begriff “bumsen”.

Und genau da fühlte ich mich wie Gregor Samsa. Dieser fette Käfer in Kafkas Verwandlung. Auf dem Rücken liegend, total machtlos. Scheiss produktive Analysten dachte ich mir. Denn, in den Worten Eckhart Tolles, wird nicht mehr Wissen und schnellere Computer unsere Welt retten, sondern wir brauchen wohl eher etwas mehr Gechilltheit and Wisdom. Und genau da, als ich wieder auf meinen weltverbesserischen Yogini Trip kam und endlich wieder atmen konnte, ich schrieb übrigens gerade in der Tube hastig am Anfang dieses Eintrags, merkte ich, dass die Tube bei meiner Station eingetroffen war. Erschreckt klappte also ich meinen Laptop zusammen, schmiss ihn in meine Tasche und stand auf. Und genau da bemerkte ich, wie mich der Typ neben mir ganz bewundernd anschaute, wie ich so schnell meinen Laptop geschrieben und dann meinen Laptop verstaut hatte. Oh, man, Huxley, Fuck: I am already one of them! - Kafka würde sich wohl im Grabe umdrehen.

P.S. Wenn du länger als 41.5 Sekunden gebraucht hast, um diesen Artikel zu lesen, erschiess dich. Aber bitte schnell. "Keine Zeit, keine Zeit!" (Alice im Wunderland, 1954)