Sonntag, 31. Juli 2011

Blood Sistas

Von London nach Leipzig. Zwischenhaltestelle Berlin Schönefeld. Natürlich hatte ich fast den Flug verpasst, denn Züge in London sind nicht gerade zuverlässig. Doch nicht nur ich wäre fast am Luton Airport gestrandet, sondern auch die blonde Tussi, die sich tief schnaufend in den Mittelsitz zwischen mir und einem Neueuropäer fallen liess. 'Ob sie denn Angst hätte vor dem Fliegen und desshalb so schnaufe?' , so die total verblödete Anmache des Neueuropäers. Nerv! Ich wandte mich meinem 'Psychology of Meditation' Buch zu.
Auch die Tussi war genervt und drehte ihren Körper bald etwas zu nahe zu mir und schaute gleich tief und schon fast etwas zu aufdringlich, hoffnungsvoll in meine Augen. Ihre eigenen Augen rieb sie sich zwanghaft, jedoch nicht mit ihren Fingern, sondern gleich mit beiden vollen Handflächen. Sie sei Australierin und vor einem Jahr von London nach Berlin gezogen. Ausserdem schreibe sie für das Australische Marie Claire und zudem am letzten Kapitel ihres zweiten Buches, erzählte sie mir sofort und ungefragt. 'Dann sprichst du wohl schon etwas Deutsch' , fragte ich sie lächelnd. Sie zurück grinsend: 'Did you just call me cunt?'
Irgendwie erinnerte sie mich die gute an die junge Courtney Love: verrauchte Stimme, eine extrem sexuelle, leicht männliche Ausstrahlung, üppige Brüste, wunderschön geschwungene Lippen und dicke blonde Haare. Genau die Art von Frau, die, bevor sie den Mund aufmacht und die Beine beim Sitzen etwas zu breit aufschlägt, wohl bei fast jedem Mann erst Heiratsphantasien, Sekunden später jedoch nur noch Fickphantasien auslöst. Auch ich ertappte meinen Geist dabei, wie er sich für den Bruchteil einer Sekunde vorstellte, wild mit Courtney 2 rumzuknutschen. Und sogar der etwa zweijährige Junge vor uns stellte sich entschieden und provokativ auf den Sitz vor uns, starrte Courtney direkt ins Gesicht, fing an zu sabbern, und griff die ganze Zeit in ihre Richtung.
Ob das denn nicht langweilig sei, für so eine angepasste behinderte Frauenzeitschrift zu tippen, wollte ich von ihr wissen. 'Überhaupt nicht', so Courtney. Sie schreibe viel über Sex, das sei ganz interessant. Sie hätte auch mal einen Artikel über Fetishclubs gefasst und zwecks beruflicher Observation damals auch einen dieser Orte besucht. Nun sei sie ganz angefixt von diesem Zeitvertreib, ziehe sich nun an manchen Abend extrem aufreizend an, und tigere dann ins Berliner Kitcat. Es mache ihr Spass, sich Margherita schlürfend Frauen reinziehen, die neben der Bühne einfach mal so gefistet werden. Früher hätte sie auch Sexbücher geschrieben, wisperte sie verämt und ganz leise in mein Ohr, durch das Internet sei diese Branche heute jedoch mehr oder weniger vernichtet, bzw. deshalb inexistent.
Der zweijährige sabbernde Junge fing nun plötzlich an zu schreien und ich fragte Courtney ton- und themagerecht: 'Have you ever thought of marrying and having children some day?' Gerade hatte ich diese Frage gestellt, da sah ich mich als Stellvertretung der Vereinigung Stepfordwives und Adenauerzeit antifeministisches Bewusstsein auf einer Bühne hinter einem Redepult stehend Courtneys etwas anderen Lebensstil anklagend - waere das ein Film, hätte ich mich auch gleich mit Photoshop schwarz-weiss eingefärbt.
Ihre Antwort fällt mir nicht mehr ein - ich war wohl zu stark von ihren Lippen abgelenkt. Ist aber eigentlich auch egal. Was jedoch hängen geblieben ist, ist ihre trockene Aussage, dass nach neuesten statistischen Berechnungen in 10 Jahren 35 Prozent der Frauen kinderlos, unschwanger und unverheiratet sein werden.
Au Backe, ich wusste nicht so recht, was ich jetzt sagen sollte. Schockieren tut das nämlich jede Singelfrau, die auf die dreissig zugeht und mir wurde schlagartig klar, dass ich schon angefangen hatte, mich mit dieser coolen New Age Frau zu identifizieren. Nicht mit dem Sexgeschwafel, -geschreibe und den dazugehörigen Praktiken. Doch mich ihrer Gitarren zerschmetternden rebellischen Energie und fuck you society punkrock Einstellung. Und es hatte sich gut angefühlt. Ein heimlicher Flugzeug Schwesternschwur, nur ohne Blut, hatte ich mental unterbewusst und freudianisch schon geschlossen. Und dann platsch, boom, bäng, die Realität kickte ein: mein neurotisches 'Ich' fühlte sich plötzlich zehn Jahre älter und somit statistisch gesehen zu 35 Prozent 39 jahre alt und kinderlos. Gerade wollte ich anfangen zu hyperventilieren und mich in die Opferrolle unserer kaputten Gesellschaft kuscheln, da kam ich (universumseidank) wieder zu Bewusstsein und dachte ein mal mehr: Fuck 'em all! I'm dam happy and just got a new flat with garden. Und zum Gitarre spielen hat mich Courtney auch gerade inspiriert. Love, I love you! - Guess I just wasn't born to be a cinda-fucking-rella und meine 65 prozentigen Kinder werden mich hoffentlich mal dafür lieben.

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