Dienstag, 19. April 2011

Kacke auf's Papier

Heute war ich in der Klapse. Nein. Nicht so. Seit drei Monaten mache ich Volunteer work als möchtegern Psychologin. Und ich liebe es! Ja, die Leute da sind verrückt. Aber ganz ehrlich, und zu dem Schluss bin ich schon nach meinem ersten aufeinandertreffen mit “really mad” Insassen (so die Amerikanerin an der Rezeption zu mir, als ich die nach dem geilen Typen fragte, der aussieht wie ein Rockstar aus einem englischen indie Musikvideo), gekommen: abergesehen davon, dass diese Leute sich ab und zu den Augapfel mit blossen Händen rausreissen oder ihre Katze mit einem Kacktus erschlagen, sind die eigentlich nicht viel anders als die meisten meiner Freunde: rebellisch und durchgeknallt und einfach liebenswert unlangweilig.

Nachdem ich also mit zwei Patientinnen, eine schneidet sich ab und zu die Arme auf, die andere behauptet, sie hätte in paar Problemchen mit ihren Nachbarn (???), Yoga und Meditationsübungen gemacht hatte, stand plötzlich diese Schwarze mit einem fetten Afro vor mir. “I need some Yoga now!”. Ich schaute auf meine Uhr und meinte: “Gut, 15 Minuten hab ich noch Zeit”. Meine Cutter Patientin wollte auch nochmal gleich ne Runde mitmachen, denn “Yoga is very important for me”, sagt sie immer mit sehr ernstem Ton und Blick.

Nach dem Yoga fragte ich dann die Schwarze, was sie denn beruflich mache. Antwort (stolz): “I am a full-time employee of the English National Health System! - They pay me all my life for being mad!" Sonst mache sie noch etwas Kunst. Ah, Künstlerin, dachte ich mir. Etwa die zehnte Künstlerin, Schriftstellerin und Modedesignerin, die ich hier kennenlerne. Gut, Genie und Wahnsinn sollen ja oft zusammentreffen, meinte jedenfalls dieser eine Lehrer an der Uni. Eben. Afro. Frau. Ob sie denn Ihre Stücke auch an denn Mann bringe, fragte ich sie. “Nein!” sagte sie vehement. Bestimmt nicht! Für weniger als eine Million würde sie keines dieser Stücke verkaufen.

Sie erzählte mir von einem Künstler Wettbewerb des NHS. Jeder hätte einen gratis Kasten Kreide bekommen und zehn Pfund. Die meisten hätten dann nur ein Bild gemalt, sie jedoch gleich sechs. So viel Scheisse aus ihrem Leben sei da raus aus dem Körper und der Seele aufs Papier gekommen! Dementsprechend seien es gleich sechs Bilder geworden.

Ich stand etwas verdutzt vor ihr. Ich verstand nicht. Leiden, Scheisse aufs Papier bringen und dann ist die Scheisse so viel Wert, dass man sie nicht loswerden möchte? Bitte? Das ist so als würde ich Kacken und meine Scheisse dann nicht runterspülen und mein Leben lang in der dampfenden Kacke sitzen, nur weil das rauspressen zu anstrengend war? What a Bullshit! Und genau desshalb, dachte ich mir, sitzt die Frau in der Klapse. Identification with past shit! Und dann klammert sich die gute auch noch mit aller Kraft an die Scheisse!

In dem Moment kamen mit die Worte Eckhart Tolle's in den Sinn: “This world is mad. And if you don't believe it, turn on your TV or read the news”. Denn wie ich sagte: meine Freunde und ich und auch die restliche Welt, wir sind auch nicht besser: komplett behindert! Denn, anstatt unseren Lebensabfall, unser Opferbewusstsein, unsere behinderten Gedanken und Emotionen und so unsere selbstgeschaffene Identität fallen zu lassen, krallen wir uns daran fest, sind stolz darauf und merken gar nicht, wie wir uns selber damit unglücklich machen. So, und jetzt mag ich nicht mehr schreiben. Auch wenn ich so mein Ego etwas, wie meine Freundin das immer nennt, verarsche und so meine Identitaet als schlechte Bloggerin in Frage stelle!

Was ich aber noch schreiben möchte, weich ich ja immer noch etwas sagen muss: wenigstens tun die Menschen in der Klapse nicht so als wären sie normal. So wie wir da 'draussen in der Freiheit'. Man, we are so mad!

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